12.4.2018
Blog

Rotstift killed the interview star

von
Karin Gesswein
Lesedauer: 4
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Kennen Sie das? Sie lesen ein Interview und haben den Eindruck, dass es gestellt und zu steif für ein angebliches Face-to-Face-Interview wirkt?  Es entsteht kein rundes Bild, weil eine persönliche Note oder kantige Aussagen fehlen. Vermutlich sind diese im Freigabe-Prozess verloren gegangen, als Pressesprecher und Juristen die Aussagen des Managers nochmal unter die Lupe genommen haben.

Als Leser ärgert uns das: Wir wollen im Interview doch gerade die echte, ungeschliffene Person kennenlernen. Die Unternehmensbotschaften in Reinkultur können wir schließlich auch auf der Unternehmenswebsite lesen. Setzen wir dann aber die Brille des Unternehmenssprechers auf, stehen wir vor dem gleichen Dilemma: Mutige Aussagen sind gut, aber man möchte seinen Chef natürlich auch nicht zum Ziel öffentlicher Empörung machen oder Gefahr laufen, dass wichtige Stakeholder in Blockadehaltung gehen. Da lässt man lieber Vorsicht walten.

Interviews als Chance zur Positionierung

Das „Weichspülen“ von Statements und Interviews durch Pressesprecher oder Juristen führt allerdings zu Frust auf beiden Seiten: Der Journalist bekommt keine Story und der Interviewte weder Aufmerksamkeit noch Profil, weil er nur das gesagt hat, was alle sagen. Jüngst fühlte sich der Playboy aufgerufen, dem journalistischen Ethos Rechnung zu tragen: Er druckte ein Interview mit dem Sportdirektor bei RB Leipzig, Ralf Rangnick, nicht. Der Grund: Nach dem Autorisierungsprozess war der vormals prägnante Text rund 3.000 Zeichen kürzer und hatte nur noch wenig mit dem tatsächlich geführten Gespräch zu tun.

Über die Hintergründe lässt sich sicherlich streiten. Aber ein Einzelfall ist dies nicht. Es gibt Fälle, da redigieren Pressesprecher gleich auch die Fragen des Journalisten mit. Um das klarzustellen: Natürlich besteht die Notwendigkeit, Missverständnisse auszuräumen oder aus dem Kopf nicht exakt genannten Zahlen gerade zu rücken. Aber man sollte nicht aus dem Blick verlieren, welche Chancen das Format eigentlich bietet. Ein Interview kann weit mehr sein als ein Clipping für die nächste Evaluation. Es bietet ideale Voraussetzungen für die Positionierung. Dazu braucht es aber ein klares Profil und prägnante Aussagen.

Mehr Persönlichkeit wagen

Wer Interviewoptionen mit kritischem Blick auf Medium und Thema auswählt, hat dazu schon einen wichtigen Schritt getan. Ist der Interviewte zudem gut vorbereitet, kann er den dargebotenen Raum zur persönlichen Profilierung nutzen. Diese Freiheit sollten Pressesprecher und Kommunikatoren dann auch gewähren. Es wäre falsch, hier das Paradigma der integrierten Kommunikation zu weit zu treiben. Der CEO muss die Kernbotschaft nicht exakt wiedergeben, weil sie so ja auch auf der Website steht. Werbeslogans und PR-Texte funktionieren als persönliches Statement in einem Interview nur begrenzt gut.

Beim Redigieren gilt es deshalb nicht nur die Reputation seines Chefs, sondern auch den Leser im Blick zu behalten. Letzteren erreicht man gerade dann, wenn er den Eindruck hat, ein authentisches und lebhaftes Gespräch wirklich „mitzuerleben“. Die persönliche Note und die Interaktion zwischen den Gesprächspartnern sind beim Interview schließlich das Salz in der Suppe. Damit bleibt der Leser bis zum Schluss dran und gewinnt einen bleibenden Eindruck.

Weniger hilft mehr

Es lohnt sich also, den Rotstift mit Bedacht einzusetzen – für Interviewer, Interviewten und Leser gleichermaßen. Das erfordert manchmal Mut. Zu gewinnen gibt es allerdings ein schärferes Profil, mehr Reichweite und eine bessere Außenwirkung. Klingt lohnenswert, oder?

verfasst von:
Karin Gesswein
Geschäftsführerin
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k.gesswein@vomhoff.de