20.4.2022
Blog

Transparenz auf Eierschalen: Wie Politiker:innen in Krisenzeiten kommunizieren

  • Ehrliche Kommunikation ist gerade in Krisenzeiten unerlässlich
  • Die frühzeitige Auseinandersetzung mit Kritik hilft, Glaubwürdigkeit zu wahren
  • Manchmal macht unsere sozial-mediale Gesellschaft Transparenz zur Mut-Sache
von
Ricarda Fischer (in Elternzeit)
Lesedauer: 4 Minuten
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Eine rigorose Erwartungshaltung unserer sozial-medialen Gesellschaft wirkt daran mit, dass Politiker:innen oftmals mit transparenter Kommunikation hadern. Ein falsches Wort kann das Ende einer Karriere oder aber zumindest einen ellenlangen Shitstorm nach sich ziehen. Mal bleibt dann das Ehrliche hinter dem Inszenierten zurück. Weil sie Haltung wahren wollen, alles im Griff haben müssen. Ein Dilemma, denn Ehrlichkeit ist gerade das, was glaubwürdig macht und Sicherheit transportiert. Zwei jüngere Beispiele zeigen, wie schwer es sein kann, in Krisenzeiten transparent zu kommunizieren. Und wie Politiker:innen diese Situation meistern – oder nicht.

Anne Spiegel: eine, die sich spät entscheidet  

Das erste Beispiel ist der jüngst durch die Medien gerauschte emotionale Auftritt der ehemaligen Familienministerin Anne Spiegel. Die öffentliche Entschuldigung für einen vierwöchigen Urlaub während der Flutkatastrophe ist geprägt von Unsicherheit: Spiegel verhaspelt sich in unbeholfenen Wiederholungen, schwerem Räuspern und langen Pausen. Die Atmosphäre ist unangenehm schneidbar. Am Ende dann die performative Suche nachdem Abbinder, der hilfesuchende Blick zur Seite und ein souffliertes „Dankeschön“.

Der Katastrophenauftritt im wahrsten Sinne des Wortes ist weitestgehend hausgemacht. Hätte eine solche Situation doch gar nicht entstehen müssen, wenn erläuternde Details über private Umstände im Rahmen einer Stellungnahme schon im Juli 2021 dagewesen wären. Und zwar lückenlos ehrlich, auch, was die Teilnahme an Kabinettssitzungen angeht. Nicht hilfreich ist da zudem die vorher öffentlich durchgesickerte PR-Planung, Anne Spiegel brauche „medienwirksame Termine“. Kein Wunder, dass das Fehler sind, denen sie nicht mehr entkommt. Die Politikerin wählt viel zu spät Transparenz. Und ist am Ende einer enormen Drucksituation ausgesetzt, in der sie zuerst ihren Halt und dann ihr Amt verliert.

Eines bleibt dabei aber einzuräumen: Wenn für Spiegel zu erwarten war, dass jedes ihrer Worte schon im Juli 2021 auf die Goldwaage gelegt und teilweise berechtigter Kritik, teilweise aber eben auch blindem Verriss ausgesetzt wird, dann wundert eines nicht: dass sie zögerte, offen zu sprechen – und vorher lieber selbst die Goldwaage benutzte.

Robert Habeck: einer, der den Finger in die Wunde legt    

Ganz anders Robert Habeck: Der stellvertretende Bundeskanzler wirkte in seinem in aller Munde gewesenen Lanz-Auftritt gerade aufgrund seiner Transparenz sicher. Genau aus diesem Grund handelt es sich um einen so positiv aufgenommenen Moment politischer Argumentation.

„Wo ist eigentlich die Markus Lanz-Sendung gewesen, wie verlogen wir sind, dass wir uns über Putin aufregen, aber mit saudischem Öl durch die Gegend gondeln“, fragt Habeck den Talkmaster – und trifft ins Schwarze. Die eigene Doppelmoral beim Amtsbesuch in Saudi-Arabien verhehlt er nicht. Jedoch, Habeck steht zu seiner Entscheidung. Er ist nicht nur mit sich selbst ehrlich, indem er preisgibt, dass er sich im Rahmen seines Amtseids die Hände schmutzig macht, sondern auch mit Deutschland: „Wir ziehen mit unserem täglichen Leben eine Spur der Verwüstung durch die Erde.“ Und auch den Glauben, „[…] dass wir immer alles richtig machen“ verurteilt er. Mit dieser Ehrlichkeit erreicht er die Menschen.

Natürlich ist es hier leichter auf Zustimmung zu treffen, als wenn es um – bewusst salopp gesagt – Urlaub und persönliche Schwierigkeiten geht. Aber auch bei Robert Habeck kommt in eine Rechtfertigungssituation, weil er mit Saudi-Arabien Geschäfte macht. Da wird mehr auf die Neigung seines Kopfes auf einem Foto geachtet als auf die Notwendigkeit seines Besuchs, die er – noch mit Betonung seines Amtseids – kommunikativ sehr offen darlegt. Vielleicht ist unsere erste Intuition, wenn er angesichts des Leids der Ukrainer:innen vom Bewahren des Wohlstands unseres Landes spricht, ein Stirnrunzeln. Unterm Strich bleibt aber stehen: Habeck traut sich, Augenscheinliches ehrlich zu benennen – und zwar unmittelbar in der Kritiksituation. Und es wird ihm positiv angerechnet. Im Politikbarometer ist Habeck beliebtester Politiker vor Olaf Scholz.

Ist Transparenz zur Mut-Sache geworden?

Beide Situationen lassen sich schwerlich direkt miteinander vergleichen. Aber eines haben sie gemeinsam: Zwei Menschen treffen und kommunizieren Entscheidungen in Krisenzeiten, für die sie in eine Rechtfertigungssituation geraten. Beide entscheiden sich – zu spät oder nicht – für Transparenz. Allerdings mit mehr oder weniger spürbarer Sorge vor der öffentlichen Reaktion. Die Frage ist: Wer kommuniziert am Ende ehrlich und transparent, obwohl er oder sie mit der Erwartungshaltung der Öffentlichkeit derart auf Eierschalen läuft? Spiegel hat die Transparenz für über ein halbes Jahr gemieden – und sie dann als letzten Rettungsring genutzt. Habecks direkte und offene Konfrontation ist entwaffnend und er erhält dafür das Attribut der „Sternstunde“. Zwei unterschiedliche Personen gehen unterschiedlich mit einem Druck um, dem sie in Krisenzeiten vonseiten einer erwartungsvollen Öffentlichkeit begegnen. Der eine wird dafür zum Helden gekürt, die andere erleidet Schiffbruch mit Image und Amt.

Mit Sicherheit sieht man hieran, welche Rolle Kommunikation und Rhetorik spielen. Mit noch größerer Sicherheit erkennt man, dass Authentizität und ehrliche Kommunikation den längeren Hebel haben. Und noch eine Sicherheit gibt es: Transparenz kostet inzwischen offensichtlich viel Überwindungskraft. Das bedeutet nicht, dass Politiker:innenin ihrer Rolle als Vorbild nicht ihre Kommunikation überdenken können sollten. Es bedeutet aber sehr wohl, dass es in unsicheren Zeiten den Mut für ehrliche Worte seitens der Politik braucht. Und dass wir im sozial-medialen Zeitalter beide Perspektiven einnehmen müssen. Es braucht für Ehrlichkeit auch einen Nährboden, damit wir mehr Beispiele á la Robert Habeck erleben – und gerade deshalb eine Medienlandschaft, die dafür Raum lässt. Die die Sicherheit vermittelt, dass auch ein Wort, das nicht auf der Goldwaage lag, nicht gleich einen Shitstorm nach sich zieht, solange es wahr und ehrlich ist.

verfasst von:
Ricarda Fischer (in Elternzeit)
Senior-Beraterin
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