2.2.2022
Blog

Hatespeech – ein Plädoyer für mehr Mut

  • Hatespeech wird endlich zum Politikum
  • Es geht um mehr als um Sprache
  • Breiter Widerstand ist gefragt
von
Florian Weisker
Lesedauer: 4 Minuten
SCROLL

Antisemitismus, Homophobie, Fremdenfeindlichkeit und Pranger für unliebsame Politiker:innen oder Unternehmen – online lässt es sich aus der Anonymität heraus und auf dem Sofa sitzend ganz bequem hetzen. Meist folgenlos und mit einer treu mithetzenden Gefolgschaft im Rücken. Andersdenkende werden so schnell zu „Feind:innen“, Politiker:innnen zu „Vaterlandsverräter:innen“, Manager:innen zu „Verbrecher:innen“.

Zwei aktuelle Entscheidungen haben in den letzten Tagen Schlagzeilen gemacht, wenn es um den Rechtsraum in den sozialen Netzwerken geht: So hat EU-Kommissar Thierry Breton vor wenigen Tagen in seiner Rede zum Digital Service Act "systemrelevanten Plattformen", also vor allem Facebook und dessen Mutterkonzern Meta, Strafen in Milliardenhöhe angedroht, falls Hassnachrichten künftig nicht konsequenter gelöscht würden. Nur wenige Tage später hat der Bundesgerichtshof geurteilt, dass Facebook-Nutzer:innen zwar bei Vertragsabschluss ihren richtigen Namen nennen müssen, „im Außenverhältnis“, also wenn sie bei Facebook aktiv sind, aber ein Pseudonym nutzen dürfen. Mit anderen Worten: Sie bleiben anonym und unerkannt – und zwar auch, wenn sie Hasstiraden posten.

Endlich ist auch in der europäischen Politik angekommen, dass das Internet kein rechtsfreier Raum sein darf, Hasstiraden sind zu einem Politikum geworden. Bravo! Die Strafen sollen drakonisch werden: Wenn sich ein Unternehmen nicht an die Regeln hält, werden „bis zu sechs Prozent ihrer Umsätze als Strafe“ fällig, so der französische EU-Kommissar. Bei schwerwiegenden und anhaltenden Verstößen sollen die Plattformen sogar vorübergehend vom Binnenmarkt ausgeschlossen werden. Bei Facebook allein läge die Strafe bei vier bis fünf Milliarden Euro. Ob das wehtut? Wir werden sehen.

„Geistige Brandstiftung“

Jedenfalls steht viel auf dem Spiel. Denn Hatespeech will mehr als nur anprangern. Dahinter steht die Absicht, unsere Gesellschaft zu spalten. Herabwürdigende Kommentare zielen nämlich einzig darauf ab, einzelne Gruppen zu hemmen, auszugrenzen, abzuweisen oder gar zu zerstören. Letztlich verfolgen Hater:innen mit der Verbreitung von Hass im Netz das Ziel, einen gesellschaftlichen oder politischen Wandel herbeizuführen, angefeindete Gruppen aus dem öffentlichen Leben mundtot zu machen oder zu entfernen. Populist:innen, deren Parteien und deren anonyme Sympathisierenden nutzen alle diese Instrumente. Heiko Maas, damals noch Bundesminister für Justiz und für Verbraucherschutz, sah darin einen „Angriff auf den Grundkonsens unserer Gesellschaft“ und nannte Hatespeech zu Recht „geistige Brandstiftung“.

Es war also längst überfällig, dass die Politik – nicht nur auf Ebene der EU – ein klares Zeichen setzt, um der weiteren Spaltung unserer Gesellschaft einen Riegel vorzuschieben. Da fällt es mir schwer, das am Anfang erwähnte Urteil des Bundesgerichtshofes zu verstehen. Denn klar ist doch: Die Hemmschwelle für Hetze ist deutlich niedriger, wenn man sich sicher sein kann, dass die Anonymität schützt und meist sogar Volksverhetzung oder die Anstiftung zu Straftaten folgenlos bleiben.

Als humanistische, freiheitlich denkende und fühlende Gesellschaft sollte es unser aller Aufgabe sein, sich dem mit aller Kraft entgegenzustellen. Denn es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Verteidigung unserer demokratischen Diskussionskultur und um den Erhalt dessen, was wir gemeinhin als „sozialen Kit“ bezeichnen. Da ist es gut, dass es bereits eine Reihe von Initiativen, Bündnissen oder Einzelpersonen aus der Politik gibt, die sich hier erfolgreich engagieren und das Thema im Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit verankern. Hierzu gehören etwa die No-Hate-Speech-Bewegung oder Amadeo-Antonio-Stiftung. Auch die Deutsche Public Relations Gesellschaft (DPRG) widmet sich diesem Thema – weiter so.

Denn Kommunikator:innen in Deutschland nehmen seit Jahren nicht nur einen deutlichen Anstieg des Phänomens Hatespeech in den sozialen Medien wahr. Dies zeigen die Ergebnisse einer Studie aus dem Jahr 2019, die im Auftrag des Bundesverbandes der Kommunikatoren (BdKom), der Forschungsgruppe Modellprojekte und der Amadeu-Antonio-Stiftung durchgeführt wurde. Demnach haben 45 Prozent der befragten Kommunikator:innen im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit schon konkrete Erfahrungen mit Hatespeech gemacht. Bei Behörden und Ministerien sind es sogar 59 Prozent, bei Nichtregierungsorganisationen 55 Prozent.

Zu den Erkenntnissen dieser Studie gehört auch, dass Hassrede-Fälle vor allem in Organisationen auftreten, die sich mit gesellschaftlichen oder politischen Themen befassen. Ein Großteil der Betroffenen, über 40 Prozent, gab an, innerhalb der letzten drei Monate mit mindestens einem Fall von Hatespeech konfrontiert gewesen zu sein, 10 Prozent hatten sogar wöchentlich damit zu tun.

Und es kommt noch schlimmer: Die Hälfte der Befragten hat schon einmal bewusst entschieden, ein Thema in den sozialen Medien nicht zu erwähnen, um negative Kommentare zu vermeiden. Der Einfluss von Hatespeech ist also viel gravierender als auf den ersten Blick erkennbar – auch oder gerade für uns professionelle Kommunikatior:innen.

Zeit, sich zu wehren

Was sollten, was können, was müssen wir dagegen tun? Kommentare ignorieren, löschen oder beantworten? Kommentarfunktionen deaktivieren? Dagegen argumentieren? Strafanzeige stellen? Die Bandbreite möglicher Reaktionen ist groß und die Diskussion um den richtigen Ansatz kontrovers. Sicher ist aber: Wir brauchen mehr Mut, um derartigen Umtrieben entgegenzuwirken. Ja, mehr Mut! Das gilt auch für unsere Kund:innen – oftmals Unternehmen, für die Reputation ein wichtiges ideelles Kapital ist. Auch sie sind aufgerufen, Verantwortung zu übernehmen und sich aktiv und nicht anonym gegen Hetze und Extremismus in jeder Form zu positionieren – übrigens nicht nur im Internet. Denn nur Weltoffenheit, Vielfalt und Toleranz können über Engstirnigkeit, Missgunst und Einfalt obsiegen.

Das muss nach meiner Überzeugung unser aller Mantra sein!

verfasst von:
Florian Weisker
Geschäftsführer
+49 (0) 211 515805 – 19
f.weisker@vomhoff.de