28.9.2017
Blog

„It`s the Relevanz, stupid!“ - Eindrücke vom Kommunikationskongress 2017

von
Armin Voigtland
Lesedauer: 7 Minuten
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Neue Medien, Kanäle und Daten sowie politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen wälzen die Kommunikation um wie nie. Wie können Kommunikatoren in diesem Wandel überhaupt noch Themen und Botschaften setzen, wie finden Sie noch Gehör? „Relevanz“ ist das Zauberwort und daher prädestiniert, Fokusthema beim zauberhaften Branchentreffen der Kommunikation in Berlin 2017 zu sein. Aber mit diesem magischen Wort allein ist es natürlich nicht getan, denn wie dringen Unternehmen überhaupt noch glaubwürdig durch, wenn ihnen Vertrauen abgesprochen wird? Wem glaubt die Öffentlichkeit noch? Und welche Kanäle sind für welche Zielgruppen relevant? Last but not least: Sind Big Data, Bots und Künstliche Intelligenz nicht immer bedeutender für die Kommunikatoren?

Der Kommunikationskongress versuchte in zahlreichen Diskussionen, Workshops, einem Ideencamp sowie einer „Comms-Safari“ Antworten, Ein- und Ausblicke auf diese Themen zu liefern. Wie immer ist es für Teilnehmer fast eine unmögliche Aufgabe, aus den parallel stattfindenden Panel-Veranstaltungen die „relevanteste“ auszusuchen. Impulse, Best Cases und Expert Sessions sind alle lohnend, aber leider ist Präsenz – trotz aller Mobile Communication-Tools – nur in einem Raum des Berliner Congress Centers möglich. Aber es gibt ja zum Glück den direkten Austausch über Themen und Vorträge, so dass man vom Kongress mit geradezu überbordenden Eindrücken zurückkehrt. Trotzdem können im Folgenden nur einige ausgewählte und persönliche Impressionen festgehalten werden.

„Kommunikation gibt dem Unternehmen Energie zurück!“

Frank Mastiaux, CEO von EnBW, bezeichnete Kommunikation in seiner Auftaktkeynote als „überlebenswichtig“, gerade im Wandel, den sein Unternehmen in den vergangenen Jahren durchlebt habe. „Kommunikation, die verändern soll, ist Chefsache“, wiederholte Mastiaux einen gängigen Lehrsatz, ergänzte dann: „Aber sie darf es nicht bleiben.“ Er verglich den Veränderungsprozess mit einem Marathon, bei dem es wichtig sei, sorgfältig und klar zu kommunizieren sowie die – glasklare – Story permanent zu wiederholen. Wenn sie das leiste, kann sie dem Unternehmen die notwendige Energie zuführen, die es braucht.

Was Kommunikation leisten sollte, fasste Mastiaux in fünf „Vs“ zusammen: Verständnis, Verantwortung, Vertrauen, Verlässlichkeit und – da Schnelligkeit nicht in die Reihe passte – Verzugslosigkeit. Anglizismen und Verballhornungen lehnt er ab, er sprach sich zudem, nach schlechten Erfahrungen mit Power-Point-Vorträgen, für eine Renaissance des Fließtextes aus. Mastiaux` Appel am Schluss: „Und denken Sie daran, der Absender muss verstehen, was Sie sagen. Denken Sie an den Nutzen der Worte. Ihre Botschaften sollte auch ein elfjähriger Schäferhund verstehen.“

Reputation sichert Geschäft

Eine wichtige Erkenntnis, die man als Zuhörer einer der Fachvorträge sofort verstehen konnte: Reputation rechnet sich für Unternehmen. Und zwar tatsächlich betriebswirtschaftlich, wie Jörg Forthmann von Faktenkontor und Professor Lothar Rolke von der Hochschule Mainz in einer Untersuchung nachgewiesen haben. Unternehmen mit guter Reputation haben eine um durchschnittlich zwölf Prozent stärkere Gewinnentwicklung. Dabei ist wichtig zu verstehen, dass Reputation langfristig angelegt ist. Voraussetzung dafür ist es, seinen Stakeholdern erst einmal genau zuzuhören. Reputation ist also Schutz- und Erfolgsfaktor für Unternehmen – eine Erkenntnis, die häufig leider erst dann, wenn es schlecht um sie steht, Beachtung findet. Bonmot von Warren Buffet dazu: „Verliere Geld für die Firma und ich werde Verständnis zeigen. Verliere auch nur einen Fetzen Reputation und ich werde unbarmherzig sein.“

„Internet der Dinge“ verändert alles – sogar Tanzpartner…

Dass bald auch Roboter immer mehr Bonmots liefern werden, zeigte der Vortrag von Michael Schmidtke, Director Digital Communications bei Bosch. Er stellte klar, dass heute noch nicht abzusehen ist, was passieren wird, wenn sich in der dritten Welle der Digitalisierung („Web 3.0“) Dinge vernetzen und Teil der Kommunikation werden. Aktuell gibt es schon Lösungen wie Weiterentwicklungen von Sprachsteuerungen, Chat-Funktionen auf Corporate Websites und Anwendungen, die optimalen Content etwa für persönliche „Roboter“-Assistenten oder selbstfahrende Autos der Zukunft schaffen. Er schilderte allerdings auf imposante Weise, wie er in diesem Jahr bei den „Bosch Digital Communication Days“ mit Robotern in Interaktion trat. Denn die drei niedlichen Roboter Kuri und Mykie (Bosch) sowie Pepper (Softbank) hielten nicht nur den einstündigen (einprogrammierten) Eröffnungsvortrag und zogen damit die über 250 Zuhörer aus 33 Ländern in den Bann. Vielmehr forderte einer der Roboter Schmidtke nach seinem Vortrag tatsächlich zum Tanz auf. Dabei hat der Roboter nicht nur „einprogrammierte“ Steps gezeigt, sondern sich auf den Tanzpartner eingestellt. „Dinge“ werden Teil der Kommunikation, das reale Leben ändert sich fundamental.

Newsroom rules

Ein ähnliches Erweckungserlebnis hatte Answer Lang, der Leiter Unternehmenskommunikation der Wiener Linien. Denn viele Kunden sprachen das Unternehmen auf einen humorvollen und immer gut gelaunten Busfahrer an. Als man Zeitungen, Radio- und TV-Anstalten auf diese Story und das Berliner Original in Wien hinwies, lehnten alle dankend ab. Man entschied sich bei dem Verkehrsunternehmen dann, die Story selbst zu machen, da sie so tolle Aspekte aufwies. Und siehe da: Plötzlich wurde die Geschichte mit dem „Buslenker Daniel“ in österreichischen und sogar deutschen Medien publiziert. Für die Wiener Linien ist seitdem klar: Wenn wir Sachen selbst machen, die gut sind, erreichen wir alle Adressaten viel besser. Der Newsroom bei den Wiener Linien war geboren.

Denn die Geschichte machte den Kommunikatoren deutlich: Es geht immer weniger darum, den Medien Geschichten zu „verkaufen“, Pressemeldungen zu schreiben oder Kommunikation über Gatekeeper zu realisieren. Vielmehr müssen eigene Geschichten gefunden, selbst erzählt, eigene Kanäle aufgebaut und betrieben werden. Seitdem bringen Themenmanager interessante Themen aus dem Unternehmen in den Newsroom ein, die dann kanal- und zielgruppengerecht aufbereitet werden. Die Fixierung auf klassische Medien ist weg, stattdessen geht es um neue Verantwortlichkeiten, um Austausch und eine neue Haltung. Für die Wiener Linien ist der Newsroom ein Erfolg, sie fahren richtig darauf ab!

Noch besser: Reality rules

Abgefahren waren auch Erkenntnisse einer Studie der Quadriga Hochschule zur erfolgreichen Führung und Organisation in der PR. Ein Ergebnis: 41 Prozent der PR-Manager wollen ihren aktuellen Arbeitgeber gerne wechseln. Hauptgrund: Die Zusammenarbeit innerhalb der Einheit wird als schlecht empfunden. Eine intensive Diskussion über Organisation und Führung in der PR wird angesichts dieser auch im Branchenvergleich erschreckenden Zahlen unvermeidlich sein.

Nicht nur diese Studie wird bei den Teilnehmern des Kommunikationskongresses hängenbleiben, auch starke Sätze von Keynote-Speakern verharren im Ohr und im Hirn. Ob „Eine Information kann nur eines von beidem sein: entweder Fake oder News.“ (Julian Reichelt, Vorsitzender Bild-Chefredaktionen) oder „Sprecht nicht über das Internet, als wäre es etwas Neues, sondern nutzt es! Nutzt die technischen Möglichkeiten, die es längst gibt, und wehrt euch nicht gegen das, was unvermeidlich kommen wird!“ (Ben Hammersley, Futurist) oder „Relevanz wird auch künftig von Menschen gemacht – und nicht von Bots.“ (Regine Kreitz, Hertie School of Governance).

Aber vor allem werden sich alle Teilnehmer der Speakersnight im Berliner Friedrichstadtpalast an Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler der Universität Tübingen erinnern. Er zog die Besucher mit einer geradezu fulminanten Darbietung in seinen Bann, die tiefgründig, kurzweilig und kritisch zugleich war. Eine seltene Mischung und daher bleibt er auch mit diesem Satz, fast mahnend, für viele sicherlich in bester Erinnerung: „Realität ist das, was nicht weggeht, auch wenn man nicht daran glaubt.“Bilder im Beitrag: Armin VoigtlandBeitragsbild: Unsplash / Alex Knight

verfasst von:
Armin Voigtland
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